Ústav pro českou literaturu AV ČR Institute of Czech literature of the CAS
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(Un)Vereintes Europa? Grenzen und Grenzüberschreitungen in der deutschen und österreichischen Literatur nach 2000 / BOOK OF ABSTRACTS

Book of Abstracts

zur internationalen Tagung (Un)Vereintes Europa? Grenzen und Grenzüberschreitungen in der deutschen und österreichischen Literatur nach 2000 (22.-25.11.2023 in Prag)

Veranstaltet vom Institut für tschechische Literatur der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Zusammenarbeit mit dem Institut für Germanistik der J. E. Purkyně-universität in Ústí nad Labem

Adam, Julie: Grenzüberschreitung als poetologisches Konzept bei Michael Stavarič und Jaroslav Rudiš: Zwei Autoren, die (keine) Grenzen kennen

Augustová, Zuzana: Zeitgenössische tschechische Dramatik in Berlin

Bescansa, Carme: Europa als „das Zuhören“. Konfigurationen der Grenze bei Kathrin Röggla

Černá, Libuše: Herausforderungen bei der Präsentation tschechischer Theaterproduktionen in Deutschland

Dubová, Jindra: Geografische und surrealistische Grenzüberschreitungen am Beispiel ausgewählter Texte von Bernhard Setzwein

Eder, Jürgen: Das Thema Grenze(n) in neueren historisch-politischen Büchern über Europa

Hausbacher, Eva: Grenzgänge in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur osteuropäischer Herkunft

Hermann, Iris: Natascha Wodins Romane Sie kam aus Mariupol und Nastjas Tränen

Hrdličková, Jana: „Aber das gemeinsame Problem ist die Grenze“: Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek

Kondrič Horvat, Vesna: Überschreitung von jedweden Grenzen in Texten von Ilija Trojanow

Kubart, Tomáš: Aktionstheater Ensemble und Überschreitungen der ethnischen Grenzen

Marschall, Brigitte: Schiffe überqueren die Grenzen der Meere: Vom Überlebenskampf in die Ästhetik

Mikulová, Iva: Kulturtransfers am Beispiel der Inszenierung von König Ottokars Glück und Ende von Dušan D. Pařízek auf der Bühne des Wiener Volkstheaters

Moser, Natalie: Variationen einer Grenzüberschreitung in Antje Rávik Strubels Blaue Frau

Nagelschmidt, Ilse: Erfahrene doppelte Grenzziehungen

Pelloni, Gabriela: Konstruktion und Dekonstruktion der ‚Grenze‘ in ausgewählten Werken von Emine Sevgi Özdamar

Pfeiferová, Dana: Vom Fall des Eisernen Vorhangs zur Festung Österreich. Zur neueren Prosa Elisabeth Reicharts

Schenkermayr, Christian: „Europas Wehr?“ – Überschreitung und Dekonstruktion von Grenzen in Elfriede Jelineks Addenda-Texten zu Die Schutzbefohlenen

Šlibar, Neva: Die Du-Erzählform als literarisches Grenzüberschreitungs- und Schwellenphänomen, anhand aktueller deutschsprachiger Literatur

Trepte, Hans-Christian: Grenze als Heimat? Grenzen und Grenzüberschreitung in Natascha Wodins Roman Nachtgeschwister (2018)

Trombiková, Martina: Zu Grenzüberschreitungen am Beispiel des Romans Mädchen an der Grenze (2017) von Thomas Sautner

Voloshchuk, Ievgeniia: Grenzen Europas im Sammelband Über die Dummheit der Stunde von Olga Martynova

Weinberg, Manfred: Vom ‚Eisernen Vorhang‘ zum ‚Westsplaining‘. Alte und neue Grenzen

Wild, Jana: Davor und danach. Um und in uns

Wolting, Monika: Grenzen – Zäune, Mauern, Flüsse – Hindernisse der Fluchtbewegungen

Wolting, Stephan: „Die Schlacht von Königsgrätz ist unser Untergang (…)“ – Über-Fahrten als literarische Entgrenzungen in Jaroslav Rudišs Roman Winterbergs letzte Reise

Żychliński, Arkadiusz: Jenseits des Erwartbaren. Poetologische Grenzgänge von Clemens J. Setz

Spaziergang durch Prag auf Spuren Kafkas


Adam Julie

(J. E. Purkyně-Universität in Ústí nad Labem)

Grenzüberschreitung als poetologisches Konzept bei Michael Stavarič und Jaroslav Rudiš: Zwei Autoren, die (keine) Grenzen kennen

Die Stefan-Zweig-Poetikdozentur wird Autor/innen verliehen, „für die die Vermittlung zwischen den Kulturen ein zentraler Aspekt ihrer künstlerischen Arbeit ist“.[1] Unter ihnen befinden sich auch zwei Autoren, die einen Bezug zur tschechischen Kultur aufweisen können: im Jahr 2016 der österreichische Autor tschechischer Herkunft Michael Stavarič und im Jahr 2021 der deutsch-tschechische Autor Jaroslav Rudiš. In diesem Beitrag werden ihre Poetikvorlesungen genauer untersucht: Der Autor als Sprachwanderer (2016) von Michael Stavarič und Durch den Nebel (2021) von Jaroslav Rudiš.

Im Beitrag wird gezeigt, welche Aspekte der tschechischen Kultur Michael Stavarič und Jaroslav Rudiš in ihren Poetikvorlesungen besonders betonen und in welcher Form sie in ihren literarischen Texten Eingang finden. Jaroslav Rudiš lässt in seinen Vorlesungen die Geschichten sprechen, die er mit den historischen Fakten Mitteleuropas verschränkt, während Michael Stavarič den Fokus mehr auf die tschechische Sprache und deren Einfluss auf seine Weltanschauung sowie sein literarisches Schaffen legt. In beiden Fällen handelt es sich um eine relativ persönliche Auseinandersetzung mit dem eigenen literarischen Werk, die einen Einblick in die Art und Weise vermittelt, ob bzw. wie Stavarič und Rudiš die Grenzen zwischen den Kulturen und Sprachen überschreiten. Das öffnet gleichzeitig die Frage, ob für diese beiden Autoren, die sich jeweils zwischen zwei Kulturräumen bewegen, die Grenze überhaupt von Relevanz ist. Auch diesem Fragenkomplex wird im Beitrag anhand der Texte Der Autor als Sprachwanderer (2016) und Durch den Nebel (2021) nachgegangen.

Julie Adam, M.A., geboren 1990 in Ústí nad Labem. Sie studierte an der dortigen Jan-Evangelista-Purkyně-Universität das Fach Interkulturelle Germanistik. Ihr Masterstudium der Germanistik mit dem Schwerpunkt Literaturwissenschaft absolvierte sie an der Universität Potsdam, welches sie mit einer Masterarbeit über die deutschsprachigen Texte von Jaroslav Rudiš abschloss. Seit September 2022 ist sie Doktorandin an der Philosophischen Fakultät UJEP.

[1] Stefan-Zweig-Poetikvorlesungen: URL: https://sonderzahl.at/reihe/stefan-zweig-poetikvorlesungen/ [Letzter Zugriff: 11.09.2023]


Augustová Zuzana

(Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik)

Zeitgenössische tschechische Dramatik in Berlin

Die zeitgenössische tschechische Dramatik ist im Berliner Kulturleben seit 2010 dank dem Verein Drama Panorama: Forum für Übersetzung und Theater präsent. 2010 hat eine Werkstatt des kooperativen Übersetzens stattgefunden, in dessen Rahmen man unter der Leitung von Barbora Schnelle und Kathrin Janka die gemeinsame Übersetzung des Stücks Tod eines talentierten Schweins von Roman Sikora reflektieren konnte. Die Vorsitzende des Vereins, Theaterkritikerin und Übersetzerin Barbora Schnelle, hat 2014 das Festival des zeitgenössischen tschechischen Theaters in Berlin unter dem Namen Ein Stück Tschechien/ Kus Česka gegründet. Als Kuratorin lädt sie zu Inszenierungen aktueller tschechischer Stücke als Gastspiele ein und präsentiert in Bühnenlesungen neue tschechische Theatertexte in deutscher Übersetzung. Seit 2018 arbeitet Drama Panorama mit dem Verlag Neofelis and der Editionsreihe Drama Panorama – Neue internationale Theatertexte zusammen. Im ersten Band dieser Reihe Von Masochisten und Mamma-Guerillas. Neue tschechische Dramatik hat die Herausgeberin B. Schnelle neun zeitgenössische Stücke in deutscher Übersetzung gebracht. Drei Jahre später ist in der Reihe Neue Internationale Theatertexte eine Anthologie mit Theatertexten Roman Sikoras in der Übersetzung von B. Schnelle entstanden.

Der Beitrag untersucht Texte, die beim Festival Ein Stück Tschechien und in beiden Anthologien vorgestellt wurden, und geht der Frage nach, was für ein Bild der tschechischen Gesellschaft die dramaturgische Auswahl dem deutschen Kulturkontext vermittelt und welche neuen Formen der (sprachlichen, geographischen, zwischenmenschlichen, formalen) Grenzüberschreitungen sie bietet. Gleichzeitig soll die Frage gestellt werden, inwiefern diese Stücke durch formale Innovationen der postdramatischen Form, die besonders im deutschsprachigen Drama praktiziert wird, beeinflusst sind (als Beispiel werden die dramatischen Texte Geheimbericht vom Planeten der Mütter oder Niekur von Kateřina Rudčenková herangezogen).

doc. PhDr. Zuzana Augustová, Ph.D. ist Mitglied des Theaterwissenschaftlichen Teams im Institut für tschechische Literatur Akademie der Wissenschaften ČR. Sie studierte Theater- und Filmwissenschaften an der Philosophischen Fakultät der Karls Universität Prag und im Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften der Universität Wien. Ihre Dissertation wurde unter dem Titel Thomas Bernhard (2003) veröffentlicht. Zu weiteren wichtigen Publikationen zählen Kunst lebensgefährlich (2018) und Experiment als Kritik des Nazismus. Österreichische experimentelle Nachkriegsdramatik (2020), die auf ihrer Habilitation basiertZu ihren Schwerpunkten gehören das zeitgenössische tschechische und deutschsprachige Drama sowie Theateraufführungen. Sie ist außerdem als Übersetzerin von Theatertexten (T. Bernhard, E. Jelinek, E. Jandl, P. Handke, F. Zeller, W. Höll, R. W. Fassbinder, A. Schnitzler) und Prosa (F. Mayröcker Und ich schüttelte einen Liebling; F. Zorn Mars, M. Prinz Der Räuber) tätig.


Bescansa Carme

(Universität des Baskenlandes, Vitoria-Gasteiz)

Europa als „das Zuhören“. Konfigurationen der Grenze bei Kathrin Röggla

Die Schriftstellerin Kathrin Röggla plädiert in ihren Schriften für ein Europa der offenen Gesellschaft, in dem Demokratie, Toleranz und Empathie zentrale Werte sind. Zuhören als Grundhaltung (2018), Solidarität und Entgegenkommen sollen den Umgang mit den Mitbürger/innen prägen. In ihrem Erzählwerk zeigt sie wiederum Figuren, die an die Grenze ihres Aushaltevermögens gekommen sind, ausgebrannt, isoliert, am Rande des Abgrunds; oft geht es um dystopische Zukunftsbilder der Katastrophe als Warnsignal für die Gegenwart.

Die Grenze spielt, so die hier vertretene Hypothese, eine ausschlaggebende Funktion im Werk Rögglas, und zwar in ihrer janusköpfigen Dimension als Brücke und als Barrikade. Als Struktur/Identität gebende Trennlinie ermöglicht sie die Anerkennung des Selbst und des Anderen und somit den Übergang, die Kommunikation, doch kann sie als Mauer dieselbe Übergangsbewegung bzw. den Austausch sperren; anschauliches Beispiel hierfür sind der aufsteigende Rechtspopulismus und der Nationalismus, welche die Autorin 2016 in ihrem Briefwechsel mit A. L. Kennedy bemängelte. Vor diesem Hintergrund steht die heikle Aufgabe, so Röggla, „ein neues Narrativ für Europa“ (Europa sei „die einzige Lösung, das einzig sinnvolle Projekt“, 2016) zu entwickeln.

Die Reflexion um die Funktionen und Wirkungskraft von Grenzen für die Entwicklung eines Europas der Gemeinschaft und der freien und kritischen Individuen soll anhand der literarischen Auslegung solcher Fragen in Rögglas Erzählwerk durchgeführt werden. Dabei werden einerseits Asymmetrien bzw. ausschließende Grenzziehungen aufgespürt, sowie andererseits Orientierung gebende Grenzformen, die eine auf Gemeinschaftssinn beruhende Existenz andeuten.

Dr. Carme Bescansa ist seit 2001 Dozentin für Deutsche Literatur und seit 2022 Koordinatorin des Fachbereichs Germanistik an der Universität des Baskenlandes (Spanien). Studium der Germanistik an der Universität Santiago de Compostela und an der RWTH Aachen, Promotion 2003. Forschungsschwerpunkte: Gender und Cultural Studies, Spatial und Emotional Turn, Gedächtnisforschung, Heimat-Studien, derzeit Konvivialität und Vulnerabilität in der Gegenwartsliteratur. Sie arbeitete an zahlreichen staatlich geförderten Forschungsprojekten mit, zurzeit als Mitglied der Forschungsgruppe der Universität des Baskenlandes IDEOLIT (GIU21/003) „Literatur als historisches Dokument. Geschichte, Ideologie und Text“. Sie ist Mitherausgeberin der Sammelbände Heimat als Chance und Herausforderung (2014), Unheimliche Heimaträume (2020), Heimat und Gedächtnis heute (2021), Eine schöne neue Welt? Heimat im Spannungsfeld von Gedächtnis und Dystopie in Literatur, Film und anderen Medien des 20. und 21. Jh. (2022).


Černá Libuše

(Globale° e.V. Bremen)

Herausforderungen bei der Präsentation tschechischer Theaterproduktionen in Deutschland

Auch nach mehr als dreißig Jahren seit der Samtenen Revolution ist die Kommunikation zwischen Deutschland und seinen östlich gelegenen Nachbarländern eher bescheiden. Im Februar 2023 hat darauf auch Christian Bangel in seinem Kommentar „Die Arroganz ist geblieben“[2] in der ZEIT hingewiesen. Umso wichtiger ist es, den kulturellen Austausch aufrechtzuerhalten und zu intensivieren. Inzwischen werden tschechische Autorinnen und Autoren auf Buchmessen und Festivals vorgestellt, sie erhalten Stipendien in Deutschland. Die Verständigung mit Hilfe von Übersetzern und Dolmetschern ist möglich.

Schwierig ist es im Bereich des Theaters. Hier werden noch adäquate Lösungen gesucht. Die aktuellen tschechischen Inszenierungen sind häufig textbasiert, was die Vermittlung erschwert. Welche Lösungen bieten sich an? Welche Modelle sind in der Praxis erprobt? Welche Rezepte sind praktikabel? Und vor allem stellt sich die Frage: Wie erreicht man ein Publikum, das weder die tschechische Sprache versteht noch die aktuellen Inhalte nachvollziehen kann?

Die Bandbreite der doch nie optimalen Möglichkeiten ist recht groß: angefangen von Theatervorstellungen, die Obertitel anbieten, über auswendig gelernte Texte in der fremden Sprache und zweisprachige Performances, bis hin zu Theaterproduktionen, die vollkommen auf die gesprochene Sprache verzichten. Auch Einführungen vor den Vorstellungen und Diskussionen im Anschluss kommen in Frage.

Anhand langjähriger Praxiserfahrungen werden verschiedene Lösungsansätze vorgestellt, positive wie negative Folgewirkungen beschrieben und versucht, Antworten zu finden. 

Libuše Černá war lange Jahre in verschiedenen leitenden Positionen bei Radio Bremen tätig und unterrichtete an der Hochschule Bremen im Fachbereich Journalistik. Seit 17 Jahren leitet sie das internationale Literaturfestival globale° in Bremen. Sie ist mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen geehrt worden, darunter mit dem Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und der Medaille Artis bohemiae amicis.

[2] URL: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-02/zeitenwende-rede-olaf-scholz-osteuropa-ukraine-krieg [Letzter Zugriff: 11.09.2023]


Dubová Jindra

(Universität Hradec Králové)

Geografische und surrealistische Grenzüberschreitungen am Beispiel ausgewählter Texte von Bernhard Setzwein

Bernhard Setzwein gehört heutzutage zu den bekanntesten bayerischen Autor/innen. Der gebürtige Münchner zieht im Jahre 1990 nach Waldmünchen (Oberpfalz, Bayern) um, sodass sich seine Wahlheimat mehr als 30 Jahre in der Nähe der bayerisch-tschechischen Grenze befindet. Seine früheren Werke haben eine enge stoffliche Beziehung zur Isarmetropole, später wurden sie thematisch auf das Mitteleuropäische ausgedehnt, wobei die mitteleuropäisch-tschechische Thematik im Vordergrund steht. Dabei überschreitet Bernhard Setzwein mannigfaltige Grenzen. Es geht um geografische Trennlinien, die vor allem in seiner Romantrilogie ,,Aus der Mitte der Böhmischen Masse“ unter unterschiedlichen Blickwinkeln präsentiert werden, wie z. B. Raumoppositionspaare Rand – Mitte oder geschlossen – geöffnet. Der ostbayerische Schriftsteller setzt Grenzen auf der Textebene ein, wobei er gezielt zwischen realen und surrealen Erzählräumen wechselt. Dies gilt nicht nur für seine Prosatexte, sondern auch für seine Dramen. Im vorliegenden Artikel wird an ausgewählten Werken gezeigt, wie mannigfaltig Bernhard Setzwein geografische Grenzüberschreitungen literarisch bearbeitet und es wird zum ersten Mal in der Literaturforschung darauf hingewiesen, auf welche Weise und mit welcher Textintention dieser Schriftsteller surrealistische Darstellungen in eine real-fiktionale Handlung einbaut.

Mgr. Jindra Dubová, Ph.D., ist Absolventin des Lehramtsstudiums Deutsch und Kunst an der Pädagogischen Fakultät der Westböhmischen Universität in Pilsen. Sie hat an der Philosophischen Fakultät der Palacký-Universität Olmütz 2014 im Fach Deutsche Literatur mit der Dissertationsschrift Bernhard Setzwein und der tschechische Aspekt in seinem Schaffen promoviert. Frau Dubová ist seit 2017 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Deutsche Sprache und Literatur an der Pädagogischen Fakultät der Universität Hradec Králové tätig. Ein Schwerpunkt ihrer Forschungstätigkeit sind tschechische Aspekte in der bayerischen Literatur.


Eder Jürgen

(Südböhmische Universität in České Budějovice)

Das Thema Grenze(n) in neueren historisch-politischen Büchern über Europa

Europa ist immer noch ein Projekt, das man je nach Perspektive als gelungen, work in progress oder krisengeplagt sieht. Historische, politische und kulturgeschichtliche Darstellungen erscheinen jährlich und sind ein substantieller Beitrag zur aktuellen Debatte. Dabei spiegeln sie die besagten Widersprüche und bieten Ansätze zu Lösungsmöglichkeiten. Auch wenn es scheint, dass man immer mehr Europa als ‚grenzenlos‘ zu verstehen geneigt ist, ist doch vor allem die letzten Jahre auch klar geworden, dass Nationalstaaten mit ihren je eigenen Vorstellungen von Europa noch nicht überwunden sind. Ob Flüchtlingskrise(n), Pandemie, Krieg, Klimakrise – Grenzen werden als solche diskutiert und es muss nach einer Balance zwischen Europa als Utopie und Europa als funktionierendem Ganzen gesucht werden. Diese Debatte sollte nicht nur von den politischen Eliten geführt werden, sondern auch im kulturellen Feld.

Der Vortrag möchte an ausgewählten Beispielen unterschiedliche Beiträge aus dem Bereich der Kulturwissenschaften zeigen und danach fragen, wie dort Grenzen als essentieller Bestandteil in Geschichte und Gegenwart von Europa betrachtet werden. Sogenannte ‚Europa-Bücher‘, darunter Francois/Serrier (Hgg.): Europa. Die Gegenwart unserer Geschichte. 3 Bde., Jürgen Wertheimer: Europa – eine Geschichte seiner Kulturen, György Konrad: Europa und die Nationalstaaten, Henryk M. Broder: Die letzten Tage Europas oder Michael Salewski: Geschichte Europas. Staaten und Nationen von der Antike bis zur Gegenwart, diskutieren die Rolle der ‚Grenze‘ in ihren erinnerungsgeschichtlichen wie gegenwärtigen Europa-Konzepten. Die Frage dabei ist: Sind Grenzen für diese Autorinnen und Autoren gewissermaßen feste Bausteine des gemeinsamen Hauses Europa – oder im Gegenteil die verbliebenen Hindernisse auf dem Weg zu einem wirklich einigen Kontinent?

Dr. habil. Jürgen Eder promovierte und habilitierte an der Universität Augsburg bei Prof. Dr. Helmut Koopmann. Seit 2005 lehrte er zunächst an der Pädagogischen Fakultät der Südböhmischen Universität in Budweis und wechselte 2013 an die Philosophische Fakultät der JCU. Seine Forschungsgebiete sind v. a. Themen zum Verhältnis Politik und Literatur, zur Klassischen Moderne und zur Gegenwartsliteratur sowie zur Literaturvermittlung. Zuletzt erschien 2017 sein Band Politik und Literatur im 21. Jahrhundert. Anmerkungen zu einem notwendigen Diskurs, der 2021 auch ins Tschechische übersetzt unter dem Titel Politika a literatura ve 20.stoleti. Příspěvky k nezbytnému diskurzu herauskam. Er war Mitglied des internationalen und interdisziplinären Forschungsprojektes ‚Aus der Tradition in die Zukunft‘ (2016-2019), das sprachliches und literarisches Erbe der Regionen Ostbayern und Südböhmen erforschte.


Hausbacher Eva

(Universität Salzburg)

Grenzgänge in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur osteuropäischer Herkunft

Spätestens im Kontext des sog. Spatial Turn ist die Vorstellung von Grenze als Trennlinie durch deren Verständnis als Zwischen- und Übergangsraum (‚Contact Zone‘) abgelöst worden. An dieser Umdeutung der Grenze zum Übergangs- bzw. Begegnungsraum, wie sie in der Kultursemiotik und den Postcolonial Studies vollzogen wurde, haben auch literarische Texte Anteil – insbesondere jene, die unter dem Label ‚Migrationsliteratur‘ transkulturelle Schreibweisen einsetzen und sich dabei von Grenzkonzepten der Exilliteratur unterscheiden.

Der Vortrag stellt literarische Verfahren der Dekonstruktion von Grenzen in ausgewählten Texten deutschsprachiger GegenwartsautorInnen osteuropäischer Herkunft (u. a. Sasha Marianna Salzmann, Lena Gorelik, Olga Martynova, Vladimir Vertlib, Valery Tscheplanowa) in den Mittelpunkt. Diese AutorInnen bzw. Texte sind am deutschsprachigen Literaturmarkt seit knapp 20 Jahren sehr erfolgreich (‚Eastern Turn‘), sie sind impulsgebend für die Entwicklung der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und ein wichtiges Feld ästhetischer Innovation. Dies kann (auch) auf deren vielfältige Grenzgänge zurückgeführt werden, die neben den biographischen Grenzgängerschaften auch die Themen und Sujets, die topographische wie die sprachliche Gestaltung der Texte umfassen.

Im Vortrag werden anhand ausgewählter Textpassagen Verfahren der Grenzüberschreitung, wie das erinnerungstopographische Erzählen, das sog. ‚Matrjoschka-Prinzip‘ sowie der Einsatz von Sprachmischung vorgestellt. Zudem wird die Frage diskutiert, inwiefern die aktuelle Rückbesinnung auf traditionelle Grenzkonzepte aufgrund des Ukrainekrieges diese Trends in den jüngsten Texten dieser AutorInnen relativiert.

Prof. Dr. Eva Hausbacher, Professorin für Slawistische Literatur- und Kulturwissenschaft am Fachbereich Slawistik der Universität Salzburg; Studium der Slawistik und Germanistik an der Universität Salzburg, Studien- und Forschungsaufenthalte in Bulgarien und Moskau, Dissertation zur frühfuturistischen Dichtermalerin Elena Guro („Denn die Geschöpfe lieben Aufmerksame“. Weiblichkeit in der Schrift Elena Guros, 1996); Habilitation zu transnationalen Schreibweisen in der zeitgenössischen russischen Literatur 2008 (Poetik der Migration, 2009), Vertretungsprofessur an der Universität Innsbruck, Juni 2012 bis Juni 2016 Leitung des FWF-Forschungsprojekts zu Sowjetischer Mode und Konsumkultur.

Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Russische Literatur im 20. und 21. Jahrhundert im europäischen Kontext, Literatur im Kontext von Migration, Gender und Fashion Studies.


Hermann Iris

(Otto-Friedrich-Universität Bamberg)

Natascha Wodins Romane Sie kam aus Mariupol und Nastjas Tränen

Natascha Wodins autobiographisch geprägte Romane erzählen im Rahmen der großen Geschichte ihre eigene, die ihrer Familie, vor allem die ihrer Mutter. Sie wurde von den Nazis nach Deutschland verschleppt und musste Zwangsarbeit leisten. Sie überlebte, aber die Gewalt hat Spuren hinterlassen und führt zum Suizid. Wodin geht ihren (Internet-)Spuren nach, verfolgt ihren erzwungenen Weg von Ost nach West und zeigt zugleich, wie sie ihr eigenes Schreiben als Grenzgang erlebt: Was kann man schreiben, wenn man fast nichts sicher weiß? Wie kann die Literatur die Grenzüberschreitungen eines Lebens erzählen in den großen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts? Was bleibt davon im eigenen Schreiben zurück und wird selbstreflexiv verarbeitet?

Natscha Wodin greift in ihren Werken sowohl zeitlich als auch räumlich weit aus und erinnert daran, dass die großen Kriege vor allem eines waren: der Zwang, sich zu retten und der Zwang, Orte und Lebensentwürfe zu verlassen und sich in neuen schwierigen Verhältnissen zurechtzufinden und für das Überleben Grenzen in vielerlei Hinsicht zu überschreiten.

Ich möchte in diesem Beitrag die Grenzüberschreitungen, die u. a. im Mittelpunkt der Texte stehen, genau beleuchten und sie im Kontext moderner border crossing Konzepte diskutieren. Dabei wird auch wichtig, wie sich die Figuren innerhalb der von ihnen aufgesuchten und gestalteten Räume entwerfen in Identitäten, die zwangsläufig fluide sein müssen.

Nicht zuletzt soll die emotionale Wirkung, die das Leid der erzwungenen Grenzüberschreitungen hervorruft und nicht immer genaue Darstellung findet, sondern mitunter auch als bedeutsame Leerstelle zu lesen ist, betrachtet werden. Der zweite Roman schließt an den ersten an und porträtiert Nastja, eine junge Ukrainerin, die in der Ukraine keine Existenzgrundlage mehr findet und nach Berlin geht, dort aber lediglich als Putzfrau arbeitet. Sie erzählt dort die Geschichte von Nastja als „eine der neuen Displaced Persons, die heute wieder zu Millionen über den Erdball irren“ (Natascha Wodin).

Prof. Dr. Iris Hermann, Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg; Studium der Germanistik, der Lateinamerikanischen und Alten Geschichte in Bonn, Recife (Brasilien) und Bielefeld; Dissertation zur Prosa von Else Lasker-Schüler (Raum – Körper – Schrift: Mythopoetische Verfahrensweisen in der Prosa von Else Lasker-Schüler, 1997); Habilitation zur Ästhetik des Schmerzes (Schmerzarten: Prolegomena einer Ästhetik des Schmerzes in Literatur, Musik und Psychoanalyse, 2006), Lehrstuhlvertretungen in Siegen und Münster, Vertrauensdozentin des Evangelischen Studienwerks und Frauenbeauftragte der Universität Bamberg, Forschungsprojekte mit der Meijiuniversität in Tokio und der Universität Łódź.

Schwerpunkte in der Forschung und Lehre: Empathie und Mitleid in der deutschsprachigen Literatur, Schmerzästhetik, jüdische Literatur seit 1945, die Literatur des 19. Jahrhunderts, zudem transkulturelle Perspektiven der deutschsprachigen Literatur.


Hrdličková Jana

(J. E. Purkyně-Universität in Ústí nad Labem)

„Aber das gemeinsame Problem ist die Grenze“[3]Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek

Es ist kein Zufall, dass sich Elfriede Jelineks Stück Die Schutzbefohlenen (2014) vom Drama Die Schutzflehenden des Aischylos abhebt, das manchmal als die älteste überlieferte Tragödie angesehen wird (vgl. Bärbel Lücke, 2017). Auch ist es kein Zufall, dass trotz dieser Zuordnung, nämlich eine Tragödie zu sein, Aischylos’ Werk in Hinsicht auf die Flüchtlinge eher Positives aufweist: die fünfzig Töchter des Danaos, die aus Ägypten nach Griechenland fliehen, dürfen in der griechischen Polis bleiben, werden zu Mitbürgerinnen. Das Problem der Flucht wird zwar in all seiner Brisanz als ernst erkannt (durch die Aufnahme riskieren die Griechen einen Krieg mit den ägyptischen Freiern der Mädchen), die Grenze, die das Mittelmeer bildet, wird jedoch nicht als grundsätzlich unüberwindbar dargestellt. Keine ‚Festung Europa‘ wird den sehr wohl als ,schwarz‘ und fremd dargestellten AfrikanerInnen (vgl. Aischylos 2016, 27 f.) in den Weg gestellt.

Demgegenüber wird in Jelineks dramatischem Text Die Schutzbefohlenen, der vom Protest von ungefähr hundert Asylbewerbern vor der Wiener Votivkirche im November 2012 ausgeht und eine anonyme, widersprüchliche, höchst beunruhigende Stimmenvielfalt inszeniert,das Mittelmeer zur eindeutig mit dem Tod assoziierten Grenze. Die Route der Flüchtlinge, „durchs Meer, übers Meer, ins Meer“ (Jelinek 2018, 24), endet hier vielfach. Der Beitrag will der Bedeutung dieser Grenze im Hörspiel Die Schutzbefohlenen (BR/ORF 2014) nachgehen und fragen, inwiefern das Mittelmeer „das gemeinsame Problem“ (Wien, Februar 2014) außereuropäischer Flüchtlinge und Europas darstelle.

Dr. habil. Jana Hrdličková ist seit 2007 Dozentin für Neuere deutsche Literatur am Institut für Germanistik der J. E. Purkyně-Universität in Ústí nad Labem. Studium der Germanistik und Bohemistik in Budweis, Prag, Brünn und Wien, 2006 Promotion mit der Arbeit „Es sieht schlimm aus in der Welt“. Der moralische Appell in den Hörspielen von Marie Luise Kaschnitz (erschienen 2008). 2021 Habilitation über die Darstellung des Zweiten Weltkriegs und der Shoah in der hermetischen Lyrik nach 1945, v. a. bei N. Sachs, P. Celan, I. Bachmann, E. Meister und E. Arndt (erschienen 2021). Forschungsschwerpunkte: deutschsprachiges Hörspiel, deutsch-tschechische Kulturbeziehungen (Franz Werfel, Božena Němcová, Jaroslav Hašek), hermeneutische Lyrik (Celan, Sachs).

[3] Aus: Refugee Protest Movement Vienna Februar 2014, 5. Grundsatz. In: Solidaritätserklärung, refugeecampvienna.noblogs.org


Kondrič Horvat Vesna

(Universität Maribor)

Überschreitung von jedweden Grenzen in Texten von Ilija Trojanow

Ilija Trojanow, der vielfach ausgezeichnete deutsche Schriftsteller, Herausgeber und Übersetzter, der in vielen Ländern lebte und viele bereiste, wurde in Sofia geboren. Er hat wie kaum ein anderer Autor die Grenzen und starke Migrationsbewegungen des 20. und 21. Jahrhunderts erlebt und diese in seinen Büchern, sei es in Romanen, Essays oder Reportagen, versprachlicht. Er taucht in alte Zeiten und verschiedene Kulturen ein und verbindet diese mit der Gegenwart. So können wir in seinen Texten sehr gut die biografischen Brüche und Lebenswandel infolge politischer und wirtschaftlicher Erschütterungen und existenzieller Bedrohungen erleben, welche ihn immer wieder zur Überschreitung jedweder Grenzen gezwungen haben. Der Beitrag soll im ersten Teil zeigen, wie meisterhaft, mit viel Humor und Selbstironie er in seinen vielfach ausgezeichneten Romanen, vor allem aber auch in Essays und Reportagen zeigt, wie man jedwede Grenzen überwinden kann – die geographischen, kulturellen und sozialen. In seinem Werk Meine Olympiade. Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen beschreibt Ilija Trojanow vier Jahre seines Lebens zwischen den Olympischen Sommerspielen in London 2012 und denen in Rio de Janeiro 2016, in denen er (damals 47 Jahre alt) versuchte, alle Disziplinen der Sommerspiele zu trainieren. Im Beitrag soll der Kampf mit sich selbst, bei dem es um „den Wettkampf und nicht um den Konflikt“ geht, präzise gesagt, das Erkunden der eigenen Grenzen sowohl der körperlichen wie auch der geistigen näher dargelegt werden, wobei der Fokus auf der Kulturgeschichte der Menschheit liegt.

Prof. Dr. Vesna Kondrič Horvat ist Professorin für deutsche Literatur an der Philosophischen Fakultät der Universität Maribor in Slowenien. Forschungsschwerpunkte: Schweizer Literatur, Literatur des 20. Jahrhunderts, Literatur von Frauen, Literaturdidaktik, Jugendliteratur, Germanistik als Kulturwissenschaft, interkulturelle Germanistik, Transkulturalität. Zahlreiche wissenschaftliche und publizistische Veröffentlichungen sowie Gastvorträge und Radiosendungen zu Schweizer, österreichischer, deutscher und luxemburgischer Literatur. Sie ist (Mit)Herausgeberin zahlreicher Sammelbände, u. a. Franz Kafka und Robert Walser im Dialog (2010), eine Anthologie der Schweizer Gegenwartsliteratur Gluscht (2013), eine Anthologie der Luxemburger Gegenwartsliteratur Hällewull (2014, mit Guy Helminger) und Transkulturalität der Deutschschweizer Literatur. Entgrenzung durch Kulturtransfer und Migration (2017). 2002 erschien ihre Monographie zur Prosa der deutschsprachigen Autorinnen in der Schweiz Der eigenen Utopie nachspüren, es folgten die Monographien „Ich mag Wörter, schöne Wörter“. Zu den Romanen von Hedi Wyss (2015), Wörter sind verräterisch. Hedi Wyss als Journalistin (2016) und Nur das Unausgesprochene bleibt genau das was es mir bedeutet. Studien zu Erica Pedrettis Prosa (2020).


Kubart Tomáš

(Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik)

Aktionstheater Ensemble und Überschreitungen der ethnischen Grenzen

Das österreichische Aktionstheater Ensemble ist seit seiner Gründung sowohl in Vorarlberg (Dornbirn und Bregenz am Bodensee) als auch in der Landeshauptstadt Wien tätig, wo es mehrmals im Jahr im Theater Werk X Uraufführungen präsentiert. Zentraler Bezugspunkt in der Arbeit des Regisseurs, Leiters und Autors Martin Gruber ist seit der Gründung des Ensembles 1989 der Topos der Grenze. Er manifestiert sich sowohl thematisch als auch formal in postdramatischen Praktiken, die Schauspiel, Choreografie und Live-Musik verbinden. Thematisch lässt sich der Grenztopos in der Arbeit des Aktionstheater-Ensembles in zwei Hauptbereiche gliedern: a) er manifestiert sich darin, Vertreter/innen marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen eine Stimme zu geben, und b) in der Entwicklung künstlerischer Strategien, die es den Akteur/innen ermöglichen, sich von ihrer kulturellen oder ethnischen Zugehörigkeit zu emanzipieren.

Der Beitrag stellt sich die Frage, wie soziokulturelle und künstlerische Akteur/innen (Theaterregisseur/innen, Kurator/innen etc.) interaktive Netzwerke erschaffen, um den kulturellen und künstlerischen Austausch mit der subalternen Welt fördern zu können. Wie spiegelt das Theater die interkulturelle Entwicklung der Gesellschaft wider? Wie trägt es zur Konstruktion von gesellschaftlichen Identitäten bei? Wie reflektiert das Theater eine sich verändernde Gesellschaft in Bezug auf marginalisierte soziale Gruppen?

Mgr. Tomáš Kubart, Ph.D., ist am Institut für tschechische Literatur an redaktionellen Tätigkeiten beteiligt, die sich auf das tschechische Drama des 20. Jahrhunderts (Anthologie des tschechischen surrealistischen Dramas) und die Bibliographie (Lexikon des modernen tschechischen Dramas) konzentrieren. Außerhalb des Instituts beschäftigt er sich seit langem mit der Entwicklung der Aktionskunst im mitteleuropäischen Raum (Diss. über Wiener Aktionismus, 2021) sowie mit der Performance-Kunst im Hinblick auf die Biopolitik und Performativität.


Marschall Brigitte

(Universität Wien)

Schiffe überqueren die Grenzen der Meere: Vom Überlebenskampf in die Ästhetik

Von Macht und Segen der vier Elemente erzählen Mythen, philosophische und religiöse Lehren. Das Element Wasser symbolisiert reinigende, Heilung bringende Wirkkraft, verweist auch auf vernichtende Kräfte, auf apokalyptische Regengüsse und steigende Fluten der Meere. Mit dem Schiff korrespondiert der Mensch mit dem Wasser. Das Schiff hat Symbolcharakter für die Überfahrt ins Totenreich, ist die Trennung von Leben und Tod. Meere vereinigen Länder, errichten aber auch fluide Grenzen. Geflüchtet aus den von Kriegen zerstörten Städten wagen Frauen, Männer, Kinder die Überfahrt. Ausgesetzt im Element Wasser treiben sie in ihren todbringenden Booten über die Meere: Treibgut der (Zeit-)Geschichte. Ausgeliefert dem Meer, mit seinen Unsicherheiten und Gefahren werden sie zu eingeschlossenen Passagieren inmitten der nur scheinbar freiesten und offensten aller Straßen. Das Wasser, die Meere werden den Schiffbrüchigen zum aus- und abgrenzenden Element, das überwunden werden muss, um das (über)lebensrettende Ufer, das Festland, zu erreichen. Ästhetische Grenzen überschreiten Kunstprojekte, die dieses Thema verhandeln wie Barca Nostra (2019) von Christoph Büchel.

Im April 2015 kollidierte ein Schiff mit Menschen aus Mali, Somalia, Gambia, Senegal mit einem portugiesischen Frachter. Auf die NATO-Station in Sizilien auf Dock gebracht, ließ Christoph Büchel das stählerne Massengrab auf die Biennale Venedig verlegen. Die Spuren der toten Namenlosen als artifizielles Kunstevent wurde als moralisch-ethische Fragwürdigkeit diskutiert.

Prof. Dr. Brigitte Marschall ist Professorin am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Lehr- und Forschungstätigkeit an den Universitäten Bern, Tokio, Tel Aviv, Boston, Prag und Brünn mit den Schwerpunkten Politisches Theater, Wiener Aktionismus, Drogenkulturen, Kunst und/als Medizin, Szenografie. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen und Vorträge in den Bereichen Ritualität und Theatralität in sozialen Krisenzeiten, Schwellenphänomene, Sub- und Gegenkulturen, Life Art, Psychodrama. Artivistin an den Schnittstellen von Kunst / Gesellschaft / Politik.


Mikulová Iva

(Masaryk-Universität Brünn)

Kulturtransfers am Beispiel der Inszenierung von König Ottokars Glück und Ende von Dušan D. Pařízek auf der Bühne des Wiener Volkstheaters

Dušan D. Pařízek, ein in Tschechien geborener und vor allem im deutschsprachigen Theaterraum tätiger Regisseur, bewegt sich seit langem zwischen mehreren Kulturkreisen. Er vermittelt kulturelle Transfers zwischen der Tschechischen Republik, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die konkrete Umsetzung dieser Transfers möchte ich am Beispiel der Inszenierung von König Ottokars Glück und Ende (Premiere 2019) des Wiener Volkstheaters illustrieren. Diese akzentuiert das multikulturelle und multiethnische Milieu von Grillparzers ehemaligen Kaiserreich Österreich und warnt damit vor den nationalistischen Tendenzen des zeitgenössischen mitteleuropäischen Raums. Pařízek verstärkte die sprachliche und nationale Vielfalt des Stücks, indem er einen tschechischen Schauspieler als tschechischen König Ottokar und einen in der Schweiz geborenen Schauspieler als österreichischen Monarchen Rudolf besetzte. Ich möchte auch auf die unterschiedliche Rezeption der Inszenierung durch österreichische und tschechische Theaterkritiker eingehen, die die verschiedenen (trans)nationalen Aspekte bemerkten.

Mgr. Iva Mikulová, Ph.D., arbeitet derzeit am Lehrstuhl für Theaterwissenschaft (Philosophische Fakultät der Masaryk-Universität Brünn) und im Theaterwissenschaftlichen Team für die Forschung des modernen tschechischen Theaters in der Abteilung für Literatur des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart, Institut für tschechische Literatur, Akademie der Wissenschaften ČR, v.v.i., Prag. Sie beschäftigt sich mit dem tschechischen Theater des 20. Jahrhunderts, den zeitgenössischen Regionaltheatern und dem Werk ausgewählter Regisseure aus dem deutschsprachigen Raum.


Moser Natalie

(Universität Potsdam)

Variationen einer Grenzüberschreitung in Antje Rávik Strubels Blaue Frau

Ausgehend von der Überlegung, dass Grenzüberschreitungen Strukturen und Systeme erfahr- und sichtbar machen, soll das 2021 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete Buch Blaue Frau von Antje Rávik Strubel untersucht werden. In diesem Roman werden nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf struktureller und formaler Ebene zahlreiche Grenzüberschreitungen (u. a. individueller, regionaler, nationaler Art) problematisiert. Der Text greift unterschiedliche Erzählformate wie Bericht, Notat oder Prosaminiatur auf und installiert zudem eine Metaebene, auf der zwischen einer Autor:infigur und der titelgebenden blauen Frau die Gefahren einer narrativen Appropriation – ebenfalls eine Grenzüberschreitung – diskutiert werden. Romanintern wird so die (Entwicklungs-)Geschichte der in einem tschechischen Dorf geborenen Protagonistin präsentiert und ein narrativer Echoraum eröffnet, in dem die gewaltsame körperliche Grenzüberschreitung in der Form weiterer Grenzüberschreitungsgeschichten im wahrsten Sinne des Wortes – Aufbruch nach Ost-Berlin, in die Uckermark und bis nach Helsinki – nachhallen. Auf diese Weise wird nicht nur die Dichotomie eigen versus fremd, sondern auch die Grenze zwischen Ost und West sowie die Denkfigur eines grenzenlosen Europas narrativ reflektiert.

Dr. Natalie Moser, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Potsdam, Promotion und Studium der Philosophie und Germanistik an der Universität Basel. Forschungsschwerpunkte: Literatur des 19. Jahrhunderts, Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur, Heimat-, Ende- und Zukunftsthematik, Text-Bild-Relationen. Publikationen u. a.: Die Erzählung als Bild der Zeit. Wilhelm Raabes narrativ inszenierte Bilddiskurse (2015); Daniel Kehlmann und die Gegenwartsliteratur. Dialogische Poetik, Werkpolitik und Populäres Schreiben (hrsg. gem. mit F. Lampart et al., 2020); Zukunft, Zukunftswissen, Zukunftsästhetik. Reflexionen des Kommenden in der Literatur des 19. Jahrhunderts (hrsg. gem. mit F. Lampart, 2023); StadtLand, LandStadt. Die Stadt-Land-Differenz in Literatur und Gesellschaft der Gegenwart (hrsg. gem. mit K. Mohring u. U. Schneider, erscheint 2024).


Nagelschmidt Ilse

(Universität Leipzig)

Erfahrene doppelte Grenzziehungen

In dem 2015 erschienenen Roman Gehen Ging Gegangen nimmt Jenny Erpenbeck ein authentisches Erlebnis nach Deutschland geflüchteter afrikanischer Männer als Grundidee auf. In dem zwischen August 2013 und Frühjahr 2014 ausgewiesenen Handlungsraum wird die Situation des Flüchtlingscamps am Oranienplatz in Berlin durch intensive Recherchen und begleitende Interviews erschlossen. Im Text, in dem Faktizität und Fiktionalität untrennbar verbunden sind, stehen Grenzziehungen über Raumkonstruktionen und Gedächtnisstrukturen im Mittelpunkt. Unmittelbar wird der Frage nach der Erzählbarkeit von Geschichte und Geschichtlichkeit nachgegangen.

Zum einen erweist sich das Mittelmeer als die sichtbare soziale und politische Grenze zwischen Europa und Afrika. Zum anderen werden über Fragen und Prägungen von Richard, emeritierter Professor aus Ost-Berlin, die unsichtbaren, aber täglich gefühlten Grenzen zwischen Ost und West im Diskurs zwischen verweigerten und zugewiesenen Identitäten zur bestimmenden Struktur des Romans. Daraus ergeben sich folgende Interpretationsaspekte: Grenzen im Nord-Süd und Ost-West-Diskurs zwischen Betroffenheit und Ignoranz, zwischen Erinnerungslinien und individuellen Gedächtnismustern im Spannungsfeld zwischen Annahme und Verweigerung.

Prof. Dr. Ilse Nagelschmidt, Studium der Germanistik, Geschichte und Pädagogik in Leipzig, 1983 Promotion; 1991 Habilitation über Frauenliteratur in der DDR – soziales und literarisches Bedingungsgefüge. Wesen und Erscheinungsformen – untersucht an epischen Werken mit zeitgenössischem Stoff; seit 1992 wissenschaftliche Mitarbeiterin, 1996 Professorin an der Universität Leipzig; seit 2019 emeritierte Professorin. 1994–2002 Gleichstellungsbeauftragte der Universität Leipzig, 2002-04 Leiterin der Leitstelle für Fragen der Gleichstellung von Frau und Mann im Sächsischen Staatsministerium für Soziales; 2005-18 Direktorin des Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung der Universität Leipzig. Ehrenpräsidentin des Freien Deutschen Autorenverbandes.

Forschungsschwerpunkte: Methoden der Frauen- und Geschlechterforschung, Literatur des 20. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der von Frauen geschriebenen Texte, DDR-Literatur und deutschsprachige Literatur nach 1989. Mitherausgeberin von Handbüchern zu Anna Seghers (2020) und Christa Wolf (2016).

Leiterin des DAAD- Projektes zur Prager deutschen Literatur seit 2010 (mit Viera Glosíková an der Karls Universität Prag), dazu zahlreiche Veröffentlichungen. Gastprofessuren an der Renmin Universität in Peking und der Universität in Stettin.


Pelloni Gabriela

(Universität Verona)

Konstruktion und Dekonstruktion der ‚Grenze‘ in ausgewählten Werken von Emine Sevgi Özdamar

Anhand einiger prosaischer und dramatischer Werke der deutsch-türkischen Autorin Emine Sevgi Özdamar soll der Begriff der ‚Grenze‘ problematisiert und sein zweifaches Potenzial als Abgrenzungsraum zwischen zwei Realitäten – seien sie geografisch, kulturell oder sprachlich – und als Ort, an dem sich Dynamiken der Überwindung, der Vermischung und des Übergangs vollziehen, aufgezeigt werden. Die Grenze als einen Raum des Übergangs und der Verhandlung zu erfahren, bedeutet, eine radikale Dekonstruktion von Identitätskonstrukten (Ich vs. Andere) vorzunehmen und Grenzen in Orte des Willkommenheißens und der Bereicherung durch Unterschiede umzuwandeln, allerdings in dem Bewusstsein, dass auf der identitären und sprachlichen Ebene die Konstruktion einer Grenze notwendig erscheint, um die Abgrenzung des Selbst vom Anderen zu ermöglichen. Dieser nur vordergründige Widerspruch soll anhand einiger brisanter Textbeispiele hauptsächlich aus den Romanen Seltsame Sterne starren zur Erde (2003) und Ein von Schatten begrenzter Raum (2021), sowie aus dem Drama Perikizi. Ein Traumspiel (2010) diskutiert und begründet werden.

Prof. Dr. Gabriella Pelloni ist Assoziierte Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Verona. Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren in Deutschland, Österreich und Israel. Buch- und Aufsatzveröffentlichungen zur deutschsprachigen Literatur des 19., 20. und 21. Jahrhunderts. Forschungsschwerpunkte: Korrelationen zwischen Literatur und Philosophie, Nietzscheforschung, Deutsch-jüdische Studien, Migrationsforschung und Inter/Transkulturalität. Unter den jüngst erschienenen Publikationen die Mitherausgeberschaft bei den Sammelbänden: Ingeborg Bachmann. Male Oscuro: Aufzeichnungen aus der Zeit der Krankheit (2017); „Jude, Christ und Wüstensohn“. Studien zum Werk Karl Wolfskehls (2019); zuletzt Sprachwechsel – Perspektivenwechsel? Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielstimmigkeit in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (2023).


Pfeiferová Dana

(Westböhmische Universität in Pilsen)

Vom Fall des Eisernen Vorhangs zur Festung Österreich. Zur neueren Prosa Elisabeth Reicharts

Während Elisabeth Reicharts Frühwerk die Strömung der Antiheimatliteratur mitprägte, weitete die österreichische Autorin in ihren Romanen nach 2000 die Gesellschaftskritik auf andere Länder, ja Kontinente aus. Dabei stützt sich die promovierte Historikerin immer wieder auf historische Begebenheiten. In Das Haus der sterbenden Männer (2005) löst der Fall des Eisernen Vorhangs die Rückkehr der Hauptfigur in die Heimat und in die Geschichte aus, um sich der traumatischen Erfahrung zu stellen. Antonias Aufenthalt im ‚Niemandsland‘ an der tschechisch-österreichischen Grenze motiviert ihre Identitätssuche und nimmt ihre Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit vorweg. Die Protagonistin in Die unsichtbare Fotografin (2008) ist hingegen eine Kosmopolitin. Indem sie diversen Aufträgen nachreist, wechselt sie die Länder; sie ist überall und nirgends zu Hause. Ihre Arbeit macht es ihr zugleich möglich, vor der bedrückenden Wirklichkeit woandershin zu fliehen. Die thematisierte Globalisierung wirkt sich auch auf die Romanstruktur aus, da mit den bereisten Städten immer aktuelle Probleme vor Ort kritisch behandelt werden. In Frühstück bei Fortuna (2017) greift die Autorin das Thema der sog. Migrationskrise von 2015 auf und fokussiert wieder Österreich, das seine Grenzen den Flüchtlingen verschließt. Der Roman nimmt, allerdings kritisch, den Spruch von der ‚Festung Österreich‘ vorweg, mit dem heuer im Jänner die FPÖ bei der Landtagswahl in Niederösterreich 24,2% erreicht hat. Dieser Wahlerfolg zeigt die Aktualität der Werke von Elisabeth Reichart, die sich von Anfang an von solcher Xenophobie abgrenzt.

Doc. PaedDr. Dana Pfeiferová, Ph.D., Westböhmische Universität in Pilsen. 1994-96: Franz-Werfel-Stipendium in Wien. 2000: Dissertation zu Todesbildern in der österreichischen Prosa nach 1945 (Angesichts des Todes, 2007); 2009: Habilitation über Libuše Moníková. Eine Grenzgängerin (2010). Forschungsaufenthalte in Wien, Regensburg, Augsburg, Nagoya; 2023: Gastprofessur in Catania. Zuletzt erschienen: Experimentierräume in der österreichischen Literatur (2019, mit A. Millner, E. Scuderi); „first the poet went through mariahilfer strasse… On Friedrich Achleitner’s Boundary Crossing“ (2021); „Auflehnung gegen das Schicksal und nicht mehr zu Ändernde. Das Prosawerk von Leo Perutz im literaturhistorischen Kontext“ (2022).


Schenkermayr Christian

(Universität Wien)

„Europas Wehr?“ – Überschreitung und Dekonstruktion von Grenzen in Elfriede Jelineks Addenda-Texten zu Die Schutzbefohlenen

Fokussierte Jelineks Theatertext Die Schutzbefohlenen anlässlich der Besetzung der Wiener Votivkirche durch Asylwerber*innen und deren Unterstützer*innen zunächst die Missstände im Asylrecht und die Fremdenfeindlichkeit in Österreich, kam es in den überarbeiteten Fassungen, Fortschreibungen sowie den Zusatztexten AppendixCodaEuropas Wehr. Jetzt staut es sich aber sehr (Epilog auf dem Boden) und Philemon und Baucis zu einer stetigen Weitung der Perspektive auf den gesamteuropäischen Raum. Jelineks kritische Auseinandersetzungen mit Europas Reaktionen auf die Frage nach dem Umfang mit geflüchteten Menschen umfassen unter anderem Reflexionen über innereuropäische Grenzkontrollen, überfüllte Flüchtlingsboote im Mittelmeer, Abfertigungsmethoden, Zäune und Flüchtlingslager. Der Vortrag untersucht einerseits die motivische und diskursive Entwicklung des Themenfeldes innerhalb der einzelnen Addenda-Texte sowie die sprachlichen und intertextuellen Verfahren, welche die Autorin zur Überschreitung bzw. Dekonstruktion geographischer, ideologischer bzw. vermeintlich identitätsstiftender Grenzziehungen einsetzt.

Dr. Christian Schenkermayr, Studium der Germanistik an der Universität Wien. Ab 2004 Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Elfriede Jelinek-Forschungszentrums, u. a. bei den Projekten Die europäische Rezeption von Elfriede Jelineks Theatertexten (2006-2008) und Elfriede Jelinek: Werk und Wirkung (2013-2014). 2008-2012: Universitätsassistent i. A. am Institut für Germanistik der Universität Wien. 2016 Promotion mit einer Arbeit über interreligiöse Diskurse bei Elfriede Jelinek, Barbara Frischmuth und Josef Winkler. 2017-2019 Post-Doc an der Forschungsplattform Elfriede Jelinek der Universität Wien. Seit 2020 wissenschaftlicher Mitarbeiter des FWF-Projekts Jelinek online. Elfriede Jelinek: Werk und Rezeption.


Šlibar Neva

(Universität Ljubljana)

Die Du-Erzählform als literarisches Grenzüberschreitungs- und Schwellenphänomen, anhand aktueller deutschsprachiger Literatur

Grenzüberschreitungen und Entgrenzungen sind für anspruchsvolle Literatur und Kunst im Allgemeinen konstitutiv, weil sie Teil des zeitgenössischen Kunstverständnisses sind. Während sie im kulturellen, kulturwissenschaftlichen und epistemologischen Kontext in der Regel positiv konnotiert werden, da sie dem Streben nach Freiheit und Erkenntniserweiterung entsprechen, erweisen sie sich im Realpolitischen und in der Identitätskonstitution meist als ambivalent. Aus der Mannigfaltigkeit potenzieller literarischer Transgressionskonzepte wird in meinem Beitrag ein einziges, scheinbar eng begrenztes narratologisches Phänomen erörtert: das literarische Erzählen bzw. Sprechen in der zweiten Person. Die Romanproduktion der letzten Jahre weist eine merklich gestiegene Bevorzugung dieser sonst sehr seltenen Erzählposition auf, die Monika Fludernik (u. a.) vor etwa 30 Jahren theoretisch eingeordnet hat.

Die höhere Frequenz im aktuellen Einsatz dieses fiktionalen Konzepts könnte eine Öffnung zum Anderen hin, das Bedürfnis nach dem Aufbruch aus der individualistischen, beengten Ich-Sicht und einer solipsistisch-narzisstischen Weltsicht signalisieren. Doch die literarische Praxis erweist sich als viel komplexer: Entgrenzung funktioniert etwa im Gleiten verschiedener Adressaten, im Schwellenbereich verschiedener Bewusstseinsstufen wie auch in der ambivalenten Überwindung von Grenzphänomenen, wie die des Todes. Ausgehend von drei Romanen, die 2022 bzw. 2021 auf der Longlist des Deutschen und des Österreichischen Buchpreises standen, nämlich Iris Blauensteiners Atemhaut (2022)Yael Inokais Ein simpler Eingriff (2022) und Dilek Güngörs Vater und ich (2021)wird der Versuch unternommen, Weiterentwicklungen der Du-Form in Hinsicht auf ihr Entgrenzungspotential auf ‚Anderes‘ hin wie auch die die drei Hauptadressaten (alter ego – der Figuren, der Lesenden; Figuren-Du; Lesenden-Du) verbindende Schwellenfunktion zu untersuchen und deren Form- und Funktionsvielfalt festzumachen. Fluderniks Theorie wird modellierend zu ergänzen und mit anderssprachigen, aber auch mit etwas früher publizierten Texten (Zander 2011, Goetsch 2009, Lange-Müller 2007, Gstrein 1999 et al.) abzugleichen sein.

O. Prof. Dr. Neva Šlibar, prof. em. (*1949 in Triest); Schule und Studium in Wien, Ljubljana und Zagreb; seit 2000 o. Prof. für moderne deutsche Literatur an der Philosophischen Fakultät der Universität Ljubljana; 2002-2003 Dekanin; 2004-2010 Vorstand der Germanistik; seit 2012 i. R. Sprach- und wissenschaftspolitisch in sieben EU-Projekten zur Mehrsprachigkeit tätig.

Fachliche Schwerpunkte und Veröffentlichungen: deutschsprachige Gegenwartsliteratur, Literaturtheorie, feministische Literaturwissenschaft und DaF-Literaturdidaktik (siebenfache Fremdheit und Kompetenzmodell).


Trepte Hans-Christian

(Universität Leipzig)

Grenze als Heimat? Grenzen und Grenzüberschreitung in Natascha Wodins Roman Nachtgeschwister (2018)

Aus einem anderen Sprach- und Kulturraum kommende SchriftstellerInnen thematisieren häufig Probleme, die mit geographischen, (kultur)geschichtlichen, sozialen, kulturellen und mentalen Grenzen und Grenzüberschreitungen verbunden sind. Zu unterscheiden ist zwischen natürlichen und willkürlich gezogenen Grenzlinien und nicht näher abgegrenzten Grenzräumen. VertreterInnen dieser (Grenzraum-)Literatur können sich in einem sprachlichen, kulturellen, literarischen und identitären Dazwischensein (inbetweenness) heimisch fühlen. Ein exemplarisches Beispiel dafür ist Natascha Wodin, die in ihrer Beziehung zu dem aus der DDR stammenden Schriftsteller Wolfgang Hilbig das deutsch-deutsche Verhältnis im Umfeld von friedlicher Revolution, Mauerfall und Wiedervereinigung analysiert. In ihrem Roman Nachtgeschwister (2018) haben wir es mit einer mehrfach gefilterten Sicht zu tun, einem orientierungs- und heimatlosen Lavrieren zwischen der DDR und der BRD des Jakob Stumm (alias Wolfgang Hilbig). Die ‚deutsch-deutsche Grenze‘ bestimmte Jakob Stumms Nichtzugehörigkeit auch im wiedervereinten Deutschland. Wodin spürte als Kind von ‚displaced Persons‘ eine deutliche Grenze zwischen ihr, der ‚Russla‘ und den Deutschen. Auch die sprachlichen Unterschiede zwischen Russisch und Deutsch erwiesen sich als eine Grenze zwischen der östlichen und westlichen Welt. Es entstand eine Literatur auf der Grenze, die einen grenzüberschreitenden Diskurs etabliert und ihn ästhetisch gestaltet. Mit dem Fall der Mauer war jenes letzte Stück Grenze verschwunden, das durch Wodins Leben, ihre Gedanken und Gefühle verlief. Ihre Grenzidentität war ihr zur Heimat geworden. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs waren alle unerreichbaren Sehnsuchtsorte im Westen in greifbare Nähe gerückt. Dabei hatte die einst als unüberwindlich geltende Grenze einseitige Vorstellungen vom ‚goldenen Westen‘ als einem Sehnsuchtsort genährt. Fast tröstlich schien es für Wodin, dass es diese Grenze auch weiter für ihr Heimatgefühl gab; auch weiterhin zeigt sich eine deutliche Grenze zwischen der Sprache und all dem, was in der Sprache nicht aufgehen will.

Dr. Hans-Christian Trepte – Doc Dr. emeritus (Institut für Slawistik, Universität Leipzig), studierte an den Universitäten Greifswald, Leipzig und Warschau Slawistik, Anglistik und Amerikanistik. Dissertation 1979 an der Universität Leipzig (Zur Epochengestaltung in Jaroslaw Iwaszkiewiczs Roman „Slawa i chwala“/“Ruhm und Ehre“)1989 „Facultas docendi“ (Westslawische Literaturen und Kulturen). Literaturwissenschaftler und Kulturhistoriker (Polen, Tschechien, Slowakei).

Wissenschaftliche Schwerpunkte: Mitteleuropäische Literaturen und Kulturen, Exil- und (Post)Migrationsliteratur, Sprach- und Codewechsel, literarische Übersetzung.

Publikationen (Auswahl): Mitherausgeber: Zwischen Oder und Peipussee. Zur Geschichtlichkeit literarischer Texte im 20. Jahrhundert (2001), Grundbegriffe und Autoren ostmitteleuropäischer Exilliteraturen 1945-1989. Ein Beitrag zur Systematisierung und Typologisierung (2004), Nationaltexturen. National-Dichtung als literarisches Konzept in Nordosteuropa (2007), Alteritäten: Literatur, Kultur, Sprache (2013), Zwischen Ost und West. Joseph Conrad im europäischen Gespräch (2010), Flüsse. Kultur und Literatur der Wasserwege (2015), Westslawische Mythen, Sagen und Legenden auf dem Gebiet der Germania Slavica (2020), Zwischen Kap Arkona und dem Lausitzer Bergland. Westslawische Mythologie (2022).

Auszeichnungen: Krzyż Kawalerski Orderu Zasługi Rzeczypospolitej Polskiej (2001); Medal Wdzięczności Europejskiego Centrum Solidarności (2014).


Trombiková Martina

(Masaryk-Universität Brünn)

Zu Grenzüberschreitungen am Beispiel des Romans Mädchen an der Grenze (2017) von Thomas Sautner

Der Beitrag nimmt sich zum Ziel, den Roman Mädchen an der Grenze des österreichischen Autors Thomas Sautner mit dem Fokus auf das Motiv der Grenze, das auch für den Titel des Romans ausschlaggebend ist, und ihrer Überschreitungen vorzustellen. Der Roman, der 2017 im Wiener Picus Verlag veröffentlicht wurde, erzählt die Geschichte der Hauptfigur, eines Mädchens namens Malina, das mit seiner Familie in einem Zollhaus an der österreichisch-tschechoslowakischen Grenze lebt und die sich gleichzeitig durch ihre psychischen Zustände über die Grenzen der Realitätswahrnehmung hin in die Welt der grenzenlosen Fantasie bewegt. Falls Grenzen als „Konstanten menschlichen Denkens und Handelns“ (Kleinschmidt 2014)[4] verstanden werden können, kann an diesem literarischen Text gezeigt werden, welche Rolle diese Konstanten im Leben der einzelnen Figuren des Romans spielen und wie sie letztendlich auch überholt werden können. Nicht ohne Bedeutung ist der historische Kontext der Handlung zu berücksichtigen, und zwar das Wendejahr 1989 mit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Auch diesen Aspekt soll die Analyse einbeziehen.

Mgr. Martina Trombiková, Ph.D. ist als Fachassistentin am Institut der Germanistik, Nordistik und Nederlandistik an der Philosophischen Fakultät der Masaryk-Universität in Brünn tätig. Schwerpunkte: Gegenwartsliteratur, Intertextualität, Literaturdidaktik. Ihr Promotionsstudium hat sie mit einer Dissertation zur Verwendung, Funktion und Bedeutung biblischer Intertextualität in deutschen Romanen seit 1990 abgeschlossen (Biblische Intertextualität in deutschen Romanen seit 1990, 2017). Zu ihren weiteren Publikationen gehören Studien zur Gattungshybridität und Metaisierung bei Felicitas Hoppe, zur musikalischen Sprache bei Michael Stavarič, zu Strategien in der Verwendung biblischer Intertextualität bei Ingo Schulze und Sibylle Lewitscharoff oder zu intertextuellen Jesus-Verweisen und ihrer Funktion bei Martin Walser. Derzeit fokussiert sie sich v. a. auf die Vorbereitung künftiger DaF-Lehrkräfte im Rahmen des Lehramtstudiums.

[4] URL: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/176297/semantik-der-grenze/ [[Letzter Zugriff: 11.09.2023]


Voloshchuk Ievgeniia

(Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder)

Grenzen Europas im Sammelband Über die Dummheit der Stunde von Olga Martynova

Der Vortrag befasst sich mit Konstruktionen der Grenzen im Essayband Über die Dummheit der Stunde der bekannten deutsch-russischen Schriftstellerin Olga Martynova. Das 2018 erschienene Buch, das ein breites Spektrum künstlerischer, kultureller sowie politischer Themen reflektiert, liest sich heutzutage wie eine Diagnose der europäischen Gesellschaft am Vorabend des Russisch-Ukrainischen Krieges, der eine neue Zäsur in der jüngsten Geschichte Europas markierte. Eines der zentralen Leitmotive des Essaybandes sind die Grenzen. Dabei werden nicht nur reale nationale, kulturelle oder sprachliche Grenzen in den Blick genommen, sondern auch teils diskursive Phantomgrenzen, unter denen „früheste, zumeist politische Grenzen oder territoriale Grenzziehungen“ zu verstehen sind, die, „nachdem sie institutionell abgeschafft wurden, den Raum weiterhin strukturieren“ (Hirschhausen u. a. 2015, S. 18), oder die mentale Karte Osteuropas, die Larry Wolff zufolge (vgl. 2003, S. 21-34) das von ‚westlichen‘ kollektiven Vorstellungen produzierte Bild des osteuropäischen Raums als ein halbfremdes-halbvertrautes Territorium vermittelt, dem zivilisatorische Unterentwicklung, Rückständigkeit und der daraus resultierende Bedarf an ‚Verwestlichung‘ und ‚Europäisierung‘ zugeschrieben werden. Das produktive und konflikthafte Potenzial solcher Grenzziehungen, die die Autorin in verschiedenen Lebensbereichen auslotet, steht im Mittelpunkt des Vortrags. Im Rahmen dieses Schwerpunktes wird auch gefragt, wie die Grenzen konzeptuell und ästhetisch (de)konstruiert werden, wie sie durch schriftstellerische transkulturelle Erfahrungen (im Sinne von Mikhail Epstein) beeinflusst werden und welche Karte von Europa des 21. Jahrhunderts an Martynovas Essayband abgelesen wird.

Prof. Dr. Ievgeniia Voloshchuk promovierte über Franz Kafka (1994) und habilitierte über geistige und ästhetische Tendenzen der deutschsprachigen Literatur der Moderne im Schaffen von R. M. Rilke, Th. Mann und M. Frisch (2010). 2003-2016 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ševčenko-Institut für Literatur der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine (Kyiv); seit 2014 lebt und arbeitet sie in Deutschland; derzeit ist sie akademische Mitarbeiterin am Axel Springer-Lehrstuhl für deutsch-jüdische Literatur- und Kulturgeschichte, Exil und Migration der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: deutsch-jüdische Literatur, Beziehungen zwischen deutschsprachigen und ostslawischen Literaturen und Kulturen im 20. und 21. Jahrhundert; Osteuropa-Studien, Border Studies, Exil- und Migrationsforschung.


Weinberg Manfred

(Karls-Universität Prag)

Vom ‚Eisernen Vorhang‘ zum ‚Westsplaining‘. Alte und neue Grenzen

Der ‚Eiserne Vorhang‘, der West und Ost in Zeiten des Kalten Krieges trennte, war wohl eine der befestigsten Grenzen der Welt. Als er 1989 fiel, ordnete sich Europa neu. Aus der harten Grenze zwischen Nato und Warschauer Pakt wurden viele materiell deutlich weniger befestigte Grenzen. Zu fragen ist aber, ob sich der gleiche Prozess auch in den Köpfen der EuropäerInnen vollzogen hat. ‚Westsplaining‘ meint dabei, wie es im Werbetext zu einem aktuellen Sammelband über das Thema heißt, die „herablassend-paternalistische Haltung von Intellektuellen des im weitesten Sinne verstandenen Westen zu den Meinungen, Gedanken und Überzeugungen der Europäer aus Osteuropa“. Hat sich der ‚Eiserne Vorhang‘ also in den Köpfen erhalten?

Der Vortrag diskutiert vor diesem Hintergrund noch einmal die mit dem Konzept der Grenze verbundenen unterschiedlichen Begrifflichkeiten (border, boundary, aber auch die in der Humangeographie inzwischen etablierten ‚fuzzy boundaries‘ von Regionen als ‚soft spaces‘). Weiterhin wird zu fragen sein, inwieweit sich ein Phänomen wie das benannte ‚Westsplaining‘ noch mit dem Begriff der Grenze denken lässt oder ob zur Beschreibung solcher – sicher ab- und ausgrenzenden – Haltungen andere Konzepte notwendig sind.

Prof. Dr. Manfred Weinberg, Studium der Germanistik, Biologie, Philosophie und Pädagogik an der Universität Bonn. Promotion dort 1992. Danach Postdoc-Stipendiat des Graduiertenkollegs Theorie der Literatur und Kommunikation (1993-1996), wissenschaftlicher Koordinator des Sonderforschungsbereichs 511 Literatur und Anthropologie (1996-2001) und des Forschungszentrums für den wissenschaftlichen Nachwuchs (2001-2003) an der Universität Konstanz. 2001 dort Habilitation, ab 2003 Lehrstuhlvertretungen (Prof. Gerhart v. Graevenitz, Prof. Albrecht Koschorke). 2006 Ernennung zum apl. Professor für Neuere deutsche und allgemeine Literaturwissenschaft. Ab 2005 regelmäßiger Gastprofessor an der Karls-Universität Prag; seit September 2010 dort Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft. Seit Mai 2015 Leiter der Kurt Krolop Forschungsstelle für deutsch-böhmische Literatur. Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Arbeitsstelle für deutsch-mährische Literatur an der Universität Olomouc/Olmütz sowie folgender Zeitschriften: Zeitschrift für interkulturelle GermanistikBrücken. Zeitschrift für Sprach- Literatur- und KulturwissenschaftJassyer Beiträge zur GermanistikTransfer. Reception Studies (Jan Długosz Universität, Tschenstochau) und Transpositiones (Universität Warschau). Mitherausgeber der Zeitschrift Schnittstelle Germanistik. Forum für Deutsche Sprache, Literatur und Kultur des mittleren und östlichen Europas sowie der Reihe Interkulturalität. Studien zu Sprache, Literatur und Gesellschaft im Bielefelder transcript-Verlag (gemeinsam mit Andrea Bogner und Dieter Heimböckel). Mitglied des Johann Gottfried Herder-Forschungsrats, des Kuratoriums des Adalbert Stifter Vereins und des Vorstands der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik.

Veröffentlichungen zur Literatur des 18. bis 21. Jahrhunderts, zur Prager deutschen und deutsch-böhmischen Literatur, Inter-/Transkulturalität, Gedächtnis/Erinnerung, Literaturtheorie, gender studies, Anthropologie sowie Naturwissenschaft und Literatur.


Wild Jana

(Akademie der darstellenden Künste in Bratislava)

Davor und danach. Um und in uns

Das Stück von Viliam Klimáček LIBERTÉ – EGALITÉ – ELECTRICITÉ (2017) thematisiert illegale Grenzüberschreitungen, die unterschiedliche Generationen von jungen Menschen unternommen haben. Der Text beruht auf authentischen Personen und realen Ereignissen aus den Jahren 1950-1989 an der tschechoslowakisch-österreichischen Grenze. In neuen Bildern spannt er einen historischen Bogen um das Thema ‚Grenze‘ bis hin zu einer düsteren Zukunftsvision und hinterfragt das Gefühl, bzw. die brutale Realität des Eingesperrtseins hinter dem ‚Eisernen Vorhang‘. In meinem Konferenzbeitrag setze ich das Stück in einen breiteren Rahmen, erläutere auch zahlreiche andere Texte von diesem Autor, die immer wieder um das vielschichtige Thema der (un)sichtbaren Grenzen kreisen, die, wie Klimáček eindringlich spüren lässt, nach 1989 keineswegs überwunden worden sind.

Viliam Klimáček (*1958), ist einer der meistgespielten zeitgenössischen Theaterautoren in der Slowakei und zugleich in der Tschechischen Republik. Seine Stücke wurden außerdem in Frankreich, Italien, Österreich, Kanada, Polen, Griechenland etc. inszeniert.

Prof. Prof. PhDr. Jana (Bžochová-)Wild ist Professorin für englisch- und deutschsprachiges Theater an der Theaterfakultät der Hochschule für Darstellende Künste (VŠMU) in Bratislava. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist Shakespeare (zahlreiche Veröffentlichungen, Board Mitglied von ESRA – European Shakespeare Research Association). Daneben arbeitet Sie auch zum zeitgenössischen slowakischen Theater. Ihre ausführliche Studie „Nichts als Worte?“ ist im Sammelband von Klimáčeks 13 Stücken erschienen (2015, auf Slowakisch). Neben ihrer Forschungstätigkeit übersetzt sie aus dem Deutschen (Ch. Hein, E. Jelinek, R. Schimmelpfennig, F. von Schirach, Ch. Balme) und Englischen. Drei Theaterstücke von V. Klimáček (Ein Akt auf dem StrandSissiLiberté-Egalité-Electricité) hat sie ins Deutsche übersetzt. Als Übersetzerin erhielt sie unter anderem den Preis des Österreichischen Bundeskanzleramtes (2000).


Wolting Monika

(Universität Wrocław)

Grenzen – Zäune, Mauern, Flüsse – Hindernisse der Fluchtbewegungen

Bei Flucht, zwischen Aufbruch und Ankommen, handelt es sich um ein Zwischenreich der Regel- und Rechtlosigkeit, einen Bereich, der aus den Ordnungen von Zeit und Raum fällt. Die Fluchten verlaufen nicht zielgerichtet, sie gleichen eher einem Umherirren, das sich immer wieder beschleunigt, dann ins Stocken gerät, schließlich zum Stillstand kommt, bevor es wieder in Turbulenzen fortgesetzt wird. Grenzen – Zäune, Mauern, Flüsse – stellen sich gegen diese Fluchtbewegungen, hemmen sie, können sie zum Scheitern bringen. Grenzverletzungen erscheinen dabei als peripatetisches Geschehen. Die Räume, die von den Flüchtenden allein oder im Kollektiv durchquert werden und die durch die jeweiligen Fluchtpraktiken konstituiert werden, wechseln: von unendlicher Weite – Meere, Wüsten – zu der Enge von Gefängnissen, Verstecken, Lagerzellen. Der Beitrag will untersuchen, wie dieser alles beherrschende Schwebezustand des ‚in limbo‘, in dem man nicht weiß, was sich ereignen wird und wann sich etwas ereignen wird, ein endloser Wartezustand also für die entmächtigten Flüchtenden, erzählt wird. Aus verschiedener Perspektive, mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung (z. B. auf Fluchtrouten, -räume, Grenzen oder Flüchtlingsfiguren) und an ausgewählten Beispielen sollen die Veränderungen der Narrative der Flucht, der außerordentlich differenten Fluchträume und nicht zuletzt der Grenzen (und ihrer Überwindung) auf der Ebene der Histoire und des Discours thematisiert werden.

Gerade die deutschsprachige Literatur, die die Migrationsbewegungen der letzten zwei Dekaden ins Visier nimmt, widmet sich sehr stark dem Thema, wie sich die Grenzen in Europa darstellten oder auch heute immer noch darstellen und unter welchen Bedingungen sie überschritten werden konnten. Mein Augenmerk wird darauf gerichtet, was mit Flüchtenden passiert, die die Grenzen überschreiten, die politische Systeme voreinander trennen.

Prof. Dr. Monika Wolting ist Professorin am Germanistischen Institut der Universität Wrocław, Sprecherin des Internationalen Christa-Wolfs-Zentrums und stellvertretende Präsidentin der Goethe Gesellschaft-Polen. 2020 erhielt sie die Auszeichnung „Verdiente Versöhner“. Sie ist auch als Literaturkritikerin tätig. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Kriegsforschung, Intellektuellenforschung, Engagierte Literatur, Ästhetik und Politik, Kulturpolitik, Realismusforschung. In ihren Forschungen stützt sie sich auf die Theorie der Literatursemiotik, Narratologie, die Feldtheorie von P. Bourdieu, Systemtheorie von Niklas Luhmann und die Konzeption der Transkulturalität von W. Welsch. Letzte Publikationen: Konflikte. Literarische Auseinandersetzungen mit der Gegenwart und Zukunft (2022), Utopische und dystopische Weltenentwürfe, Hg. (2022), Der ‚Gentrifizierungsroman‘ in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (2021), Der Heimkehrerroman der Gegenwart (2020), Der neue Kriegsroman. Repräsentationen des Afghanistankriegs in der deutschen Gegenwartsliteratur (2019).


Wolting Stephan

(Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań)

„Die Schlacht von Königsgrätz ist unser Untergang (…)“ – Über-Fahrten als literarische Entgrenzungen in Jaroslav Rudišs Roman Winterbergs letzte Reise

Innerhalb des Beitrags wird der Frage nachgegangen, wie unter Berücksichtigung alter Grenzziehungen und neuer Grenzaufhebungen auf der Basis topologischer Landkarten und historischer Orte literarisch-künstlerische Räume entstehen. Wie kaum ein anderes literarisches Werk bezieht sich Jaroslav Rudišs Roman Winterbergs letzte Reise (2019) auf Grenzüberquerungen, was sich etwa an den Landkarten im Einband zeigt. Dabei stehen die geographischen – die beiden Protagonisten durchreisen allein mit der Eisenbahn sechs mitteleuropäische Länder mit historischen Grenzziehungen – in Zusammenhang mit den Entgrenzungen einer „letzten Überfahrt“, wie es im Text heißt, einer Sterbe- oder Todesreise. Unter Zugrundelegung phänomenologischer und semiologischer Positionen sollen Grenzziehungen, Entgrenzungen oder Grenzüberwindungen im Werk betrachtet werden. Ganz im Sinne von Rudiš kommt dabei der Darstellung der Eisenbahnfahrt als ‚künstlerisches Medium‘ eine exponierte Bedeutung zu.

Prof. Dr. Stephan Wolting, ordentlicher Professor, leitet den Lehrstuhl für Interkulturelle Kommunikation am Institut für Angewandte Linguistik der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań (Polen). Vorher war er einige Jahre an der Heinrich-Heine-Universität-Düsseldorf und dann in Diensten des DAAD u. a. in Danzig/Gdansk, Warschau/Warszawa, Breslau/Wrocław (PL), Olmütz/Olomouc (CZ) und Dschang (Kamerun). Gastprofessuren und Erasmus-Aufenthalte führten ihn auch in viele europäische Länder (Cambridge, Coimbra, Bayreuth, Athen, Paris, Tallinn, Jyväskylä, Urbino u. a.) und nach China (Shanghai), Ecuador (Guayaquil) und Kamerun (Dschang). Er beschäftigt sich mit Thanatologie, kreativem und literarischem Schreiben und hat eine vielbeachtete Monografie zu Undine Gruenter. Eine deutsche Schriftstellerin mit Ziel Paris vorgelegt. Sein soeben erschienenes Buch heißt Fremde und Fiktion. Schriften zum Zusammenhang von Fremdheitskonzeptionen und ästhetischen Verfremdungskonzepten in ausgewählten Beispielen deutschsprachiger Gegenwartsliteratur. 


Żychliński Arkadiusz

(Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań)

Jenseits des Erwartbaren. Poetologische Grenzgänge von Clemens J. Setz

„Grenzen überwinden, das sagt sich leicht“, bemerkt beiläufig Clemens J. Setz in seinem gattungsmäßig hybriden Buch Die Bienen und das Unsichtbare (2020). Dabei stellt gerade nicht nur das genannte Werk, sondern auch das gesamte (mittlerweile recht voluminöse) literarische Schaffen des Österreichers einen überzeugenden Versuch dar, mancherlei poetologische Grenzen mit beachtenswerter Leichtigkeit zu überwinden. Im geplanten Beitrag sollten die Konsequenzen seiner literarischen Sondierungen insbesondere für das literaturwissenschaftliche Denken analysiert werden: Inwieweit eignen sich etwa weiterhin gängige literaturkritische Denkmuster und literaturgeschichtliche Periodisierungsversuche dazu, die Verwandlungen der zeitgenössischen (Welt-)Literatur zu erfassen? Legen die neuerdings immer häufigeren Schreibtendenzen das Durchdenken gewohnter Begrifflichkeit nicht nahe? Und: Wie ändert sich die Gegenwartsliteratur vor unseren Augen?

Prof. Dr. Arkadiusz Żychliński hat Germanistik und Philosophie in Poznań, Jena und Berlin studiert und ist zurzeit Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft und Übersetzungswissenschaft an der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań. Er befasst sich hauptsächlich mit der gegenwärtigen Weltliteratur und ihren Entwicklungstendenzen. Er hat vier Bücher (darunter eine Monographie zur allgemeinen Theorie der literarischen Fiktionalität: Laboratorium antropofikcji. Dociekania filologiczne [Das Labor der Anthropofiktionen. Philologische Untersuchungen], 2014) veröffentlicht sowie einige Sammelbände zur Gegenwartliteratur (u. a. zu Jorge Luis Borges, Thomas Bernhard und Roberto Bolaño) mitherausgegeben. Als Übersetzer hat er u. a. Robert Walser, Alexander Kluge, Peter von Matt, Uwe Timm, Peter Sloterdijk und Lukas Bärfuss ins Polnische übertragen.


Spaziergang durch Prag auf Spuren Kafkas

Die von Studierenden und Dozierenden der Prager Germanistik entwickelte Handy-App Samsa führt die Nutzer, wie unser Spaziergang auch, zu den Prager Orten, die von deutschsprachigen Architekten, Künstlern, Schriftstellern, Musikern, Vereinen, Schulen und anderen Institutionen geprägt waren. Mit Samsa und Dr. Štěpán Zbytovský werden wir gemeinsam auf den Spuren Kafkas uns seiner Zeitgenossen wandern und dabei passende Stellen aus seinen literarischen Texten und Ego-Dokumenten hören. Mit Kafkas Leben verbundene Schulen, Kaffeehäuser, Wohnorte und Stätte der Prager Populärkultur bezeugen die vielfältigen kulturellen und sozialen Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen seiner Alltagswelt und -praxis.


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